Ich mache keine Bilder!
Ende August kam ich in den Norden – als Stipendiatin des Künstlerhauses Hooksiel. Alles in allem standen zu dem Zeitpunkt fast sieben Woche Künstlerresidenz vor mir. Und natürlich hatte ich mir Gedanken vorher gemacht, was das für mich bedeutet und wie ich diese Zeit füllen würde. Ich war davon ausgegangen, dass ich einfach diese Zeit lang vor Ort lebe und arbeite und dass ich hoffentlich ein paar neue Werke erstelle. Vor allem angeregt durch neue Materialien und frische Informationen würde ich schon irgendwas finden, womit ich arbeiten könnte.
Mit diesen Vorstellungen trat ich meine Residenz an und war gespannt. Und wenn ich jetzt zurück schaue, dann merke ich, dass ich mich eigentlich von Anfang an hineingestürzt habe in diese Aufgabe.
Der erste Tag verlief noch langsam. Ich machte kleine Spaziergänge und schmökerte in einem Künstlerbuch und zwar in „Wie überlebe ich als Künstler:in“ von Ina Ross, die ich auch schon bei Atelier-Talk interviewt hatte. Und dann setzte ich mich hin und zeichnete, einfach so, verschiedene Muster, die Wellen und Wasser darstellen sollten. Das war der erste Tag.
Ab dem zweiten Tag bin ich dann intensiv unterwegs gewesen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad, um das Land hier oben zu erkunden und die Besonderheiten kennenzulernen und um Materialien zu finden, mit denen ich mich auseinandersetzen könnte.
Material gibt es hier im hohen Norden tatsächlich genug: Salzwiesen mit Gräsern und Samen, Sand, Steine, Muscheln, Federn. Oder Schafswolle. Oder Blätter. Oder diverse Krebsschalen, Algen und mehr im endlosen Watt.
Festhängen trotz Fülle
Die Tage vergingen, ich zeichnete meine Wasser-Muster weiter, um wenigstens irgendwas zu produzieren. Irgendwas, womit ich mir beweisen konnte, dass ich nicht unproduktiv war. Denselben Zweck hatte vermutlich auch die Tabelle an der Wand meiner Künstlerinnen-Wohnung, in die ich täglich eintrug, was ich gemacht habe. Denn ich kam nicht wirklich voran. Nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Kein Material wollte sich mir so öffnen, dass ich damit arbeiten konnte.
Und genau das machte mir große Probleme: Wenn es doch SO VIEL gibt, warum gelingt es mir dann nicht, damit zu arbeiten? Wie gesagt: Steine, Muscheln, Krebsschalen, Federn in rauen Mengen – wo war das Problem? Am Stettiner Haff hatte ich beispielsweise diese winzigen Schnecklein gefunden und zu einem Werk verarbeitet, das die Auswirkungen der Umwelt auf den Hormonhaushalt der Ostsee-Schnecken künstlerisch zeigt:
Das Problem musste ich sein
Bei so viel Material um mich herum musste das Problem ja offensichtlich bei mir liegen! Wie schon in meiner Künstlerresidenz im Kloster Dornach in der Schweiz beschlich mich also zeitweise die Befürchtung, dass ich es nicht mehr kann. Der Zugang zur Kunst war mir verwehrt, die Türe war zugeklappt, alles vorbei.
Eine kleine Stimme in mir sagte mir dieses Mal allerdings: „Moment mal! So eine Situation kennst du doch schon! Bleib mal ruhig, die Tür ist noch lange nicht zu.“ Und jedes Mal, wenn ich in den Galerieraum des Künstlerhauses Hooksiel kam und meine Kunst anschaute, dann gab mir das ein wenig Sicherheit und dann hatte ich das Gefühl, dieser Stimme wenigstens etwas vertrauen zu können.
Die Mischung macht´s
In meinem Hooksieler Alltag gabe es zwei Besonderheiten: Zum einen habe ich mehr mit mir völlig fremden Menschen gesprochen als sonst und zum anderen war ich sehr viel „einsiedlerischer“ als sonst. Und das kam so:
Meine Wohnung liegt über dem Galerieraum des Künstlerhauses. Sobald ich aus meiner Wohnungstür trete, habe ich zwei Möglichkeiten. Entweder ich gehe nach links, dann bin ich sofort in der Fußgängerzone und in der Galerie. Oder nach rechts, dann bin ich weg von allem und kann mich vollkommen zurückziehen. Diese Mischung war großartig! Dadurch habe ich viel Austausch gehabt und war aber auch oft vollkommen allein. Ich habe viel Feedback bekommen und viele Fragen beantwortet zu meiner Kunst. Das hat mir Einblicke und Anregungen gegeben und dann war ich wieder viel allein, habe viel nachgedacht, geschrieben, geforscht.
Ich glaube, diese Mischung war es, die bei mir auf einmal die Augen, den Kopf oder was auch immer geöffnet hat: Ja, ich hatte Unmengen von Materialien um mich herum! Und der Grund, wieso ich damit nicht arbeiten konnte, lag tatsächlich bei mir! Aber das lag nicht daran, dass ich auf einmal nicht mehr künstlerisch arbeiten konnte, sondern es lag daran, dass es mir wichtig ist, nicht einfach nur irgendwelche Bilder zu erstellen! Sondern das mit Abstand Wichtigste für mich ist, dass ich etwas mit meinen Werken erzähle! Wie hier zum Beispiel in dieser kleinen und schon etwas älteren Arbeit, in der ich für mich kritisch auf die monokulturellen Plantagen im Alten Land schaue.
Ich bin Geschichtenerzählerin
Für mich ist es fast immer unabdingbar, eine Geschichte offenzulegen, Gedanken anzustoßen, Mißstände anzuprangern oder Zusammenhänge offenzulegen. Einfach nur Muscheln zu nehmen und diese aufzunähen, das funktioniert für mich einfach nicht.
Dabei darf das, was ich mit dem jeweiligen Werk vermitteln möchte, durchaus auch ästhetisch aussehen und muss gar nicht gleich auf den ersten Blick erkennbar sein. Gesellschaftskritik und Schönheit stehen für mich in keinem Widerspruch. Im Gegenteil. Ich möchte, dass sich Menschen meine Bilder in ihre Wohnungen und Häuser holen. Ich wünsche mir, dass sie sich mit anderen dazu austauschen und die Inhalte diskutieren. Und ich glaube, dass sie das eher machen, wenn sie das Bild gerne anschauen, wenn es sie fasziniert und erfreut. Dass darin eine Geschichte steckt, die es zu diskutieren lohnt, sollte es nur noch interessanter machen.
Ich mache also keine Bilder, sondern ich erzähle Geschichten. Dieser Satz ist mit einem Augenzwinkern formuliert. Denn natürlich mache ich Bilder. Aber diese erzählen Geschichten – und die Geschichte ist das Wichtigste in dem jeweiligen Bild.
Meine Aufgabe war es ab dieser Erkenntnis während meiner Künstlerresidenz, in der Gegend in und um Hooksiel Geschichten zu finden und nicht allein Materialien. Ein völlig neuer Ansatz! Die Geschichten liegen nun mal nicht so zahlreich wie Muscheln am Strand überall in Mengen herum – und daher ist es jetzt auch so viel einfacher auszuhalten, wenn ich mal nicht voran komme.
Ich habe durch diese Erkenntnis so viel mehr Verständnis für mich und die Situation gewonnen. Ist das nicht spannend!? Und das bezieht sich nicht allein auf meinen Aufenthalt hier in Hooksiel sondern öffnet mir die Augen für alle Aufgaben, die ich mir in der Kunst stelle. Ich denke, dass ich anders an diese Aufgaben herangehen werde. Und das wird sich mindestens auf meinen Prozess auswirken, wenn nicht sogar auf zukünftige Werke. Ich bin gespannt.
Die neuste Geschichte verbirgt sich übrigens im folgenden Foto von meiner neusten Arbeit. Es geht um die berühmten blau-weißen friesischen Fliesen und um das, was uns wichtig ist…aber dazu ein anderes Mal mehr, denn diese Arbeit befindet sich gerade erst in den allerersten Anfängen!
Die neuste Geschichte
Die neuste Geschichte verbirgt sich in diesem Foto mit blau-weißen Mustern, frisch auf meinem Arbeitstisch fotografiert. Es geht um die berühmten blau-weißen friesischen Fliesen und um das, was uns wichtig ist. Aber das ist nur ein kleiner Einblick. Mehr dazu ein anderes Mal, denn diese Arbeit befindet sich gerade erst in den allerersten Anfängen…