Artist Residency

Eine Künstlerresidenz – ein Aufenthalt an einem anderen Ort, zum Arbeiten, den ganzen Tag lang. Wie sehr hatte ich mir das gewünscht!

Ich hatte mich bei dem wunderschönen, kleinen Kloster Dornach in der Schweiz um eine Artist Residency beworfen und bin tatsächlich ausgewählt worden. Wow, große Freude! Um so erstaunlicher für mich, dass ich feststellen musste, dass ich, je näher der Tag kam, immer angespannter wurde. Viele (unnötige?) Gedanken gingen mit durch den Kopf: Was, wenn ich dort keine Ideen habe? Was, wenn nichts klappt? Was wenn alles Mist aussieht, das ich kreiere…?

Ich habe dann zwei Podcast-Episoden zum Thema Artist Residency gemacht (#81 mit Olivia Franke, Leiterin eines Künstlerhauses, und #82 mit der Künstlerin Marlene Pfau), mit denen ich mich tiefer in das Thema einarbeiten konnte. Und, ganz ehrlich, es beruhigte mich auch, im Laufe der Recherchen für diese Episoden von einem gestandenen Künstler gesagt zu bekommen, dass auch er sehr angespannt gewesen sei, als er im vergangenen Jahr zu einer Artist Residency eingeladen wurde.

Eine einzige Regel

Und so brach ich Mitte April auf in die Schweiz. Mit vielen Materialien und einer einzigen, aber wichtigen, Regel für mich im Gepäck: Ich “durfte” nichts machen, das ich sonst normalerweise mache. Diese selbstauferlegte Regel bezog sich auf mein künstlerisches Arbeiten, aber auch auf die Bücher, die ich gern lese, die Podcasts, die ich gern höre oder gar Werke, die ich schon angefangen hatte. Mir war wichtig, wirklich voll und ganz in das Neue einzutauchen, Neues zu hören, zu lesen, zu kreieren. Mit viel Energie und fest entschlossen, diesen neuen Berg für mich zu erklimmen. Die Schweiz hat ja bekanntlich viele Berge…aber dieser war nur in mir.

Schwieriger Start

Angekommen im Kloster Dornach, war ich sofort angetan – so ein schöner, ruhiger, alter Ort! Mein Zimmer mit dem Namen “Auf Atmen” war herrlich, die dort vorgefundenen Materialien überraschend weil teilweise neu für mich, der Klostergarten ein Traum. Was ich noch nicht erwähnt hatte: zu meiner Residency gehörte auch Verpflegung und zwar ein feines Frühstück und ein fantastisches Abendessen. Was für ein unerhörter Luxus und was für eine Zeitersparnis! Ich konnte also einfach den ganzen Tag über kreativ sein.

Aber zunächst war erst einmal gar nichts einfach.

Zweifel

In den ersten zweieinhalb Tagen lief gar nichts. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden Realität, denn nichts, gar nichts klappte. Ich hatte kaum Ideen und die wenigen Ideen, die ich hatte, waren schlecht. Leere Blätter schauten mich an, leere Leinwände, leere Skizzenbücher. Und so langsam kristallisierte sich ein völlig klarer Gedanke für mich heraus, eine schmerzhafte Wahrheit: alles, was ich bisher geschaffen hatte, meine gesamte Kunst, alles war nur ein Zufall! Alles pure Glücksfälle! Eigentlich konnte ich GAR nichts! Wie konnte ich nur jemals glauben, ich sei eine Künstlerin – ich war eine absolute NULL-NUMMER!

Puh. Das war schwierig.

Dazu meine direkte Umgebung, mein Zimmer, in dem so Vieles zu finden war, das Zeugnis war von anderen “echten” Künstlerinnen und Künstlern, die auch ihre Residencies hier verbracht hatten. So viel Anregendes und Kreatives, überall Hinweise auf Begeisterung, Hingabe, Ideen – versteckt, hinter dem Vorhang, sogar in der Schublade. Ein Spruch, handgeschrieben auf einem kleinen Zettel an der Wand sprach mich besonders an, denn er hielt mir vor Augen, dass ich selbst aktiv werden müsse:

Einfach machen

Gegen Ende des dritten Tages erinnerte ich mich an eines der kreativen Prinzipien, die ich selber unterrichte: die Hände machen lassen, nicht den Kopf! Ich breitete ich also “einfach” Papier aus, nahm chinesische Tinte (weil für mich neu), und fing an. Striche. Kleckse. Schlieren. Ich habe “einfach” ein Durcheinander fabriziert, dieses dann mit, selbst gemachter und von Zuhause mitgebrachter Walnusstinte Spritzern übersät, dazwischen feine Linien mit Bleistiften…alles ohne Sinn und Verstand. Zu Beginn fühlte es sich furchtbar an, ich wollte nach zwei Minuten wieder aufhören. Aber mit der Zeit hat dieses Vorgehen dann doch wieder seine Magie entfaltet: ich tauchte vollkommen ein in diese Aktion, vergaß alles, fühlte mich leicht und voll interessierter Neugierde, wie ein Kind. Als ich aufhörte, lag vor mir etwas, das im Großen und Ganzen wirklich nicht gut aussah. Aber es hatte Spaß gemacht…und kleine Bereiche dieser “Schmiererei” sahen dann doch spannend aus und sprachen mich an.

Ich fühlte Freude. Und noch etwas mehr: echte Begeisterung!

Im Klostergarten

Im Nieselregen ging ich danach in den kleinen Wald-Teil des Klostergartens. Ich hatte das große Bedürfnis, einige Themen, die mich seit längerer Zeit belasteten, loszulassen. Ich schrieb sie auf einzelne Zettel, verband mich mit den Themen und dann verbrannte ich sie. Ich übergab sie…ja, wem, der Natur vielleicht. Und fühlte mich danach frei und erleichtert. Im Nieselregen auf einer Bank sitzend, mich irgendwie ungewöhnlich und abenteuerlich fühlend, musste ich vor mich hin lächeln. Und so spürte ich mit der Zeit, dass durch das Loslassen besagter Themen Raum in mir freigeworden war. Raum für Neues. Aber nicht irgendwas Neues, sondern Dinge, die ich mir wünschen wollte. Ich überlegte nur kurz, denn schnell war mir klar: ich wünschte mir, dass Ideen und Inspiration zu mir kämen mit Freude und vor allem mit Leichtigkeit!

Ich lehnte mich zurück auf meiner Bank und schaute um mich. Sah die Blätter des Vorjahres auf dem Boden des Wäldchens liegen. Wie sie im Regen schimmerten. Wie schön sie aussahen. Ich bückte mich, nahm zwei oder drei hoch, strich sie glatt. Staunte über ihre Struktur. Fast wie Leder fühlten sie sich an. Und plötzlich wurde ich von einer Idee überrannt! So super spannend, so super interessant, dass ich gar nicht mehr still sitzen konnte! Erst viel später, nach meinen ersten Experimenten in meinem Zimmer mit mehreren Blättern, wurde mir bewusst, was ich mir nur kurz vorher dort auf der Bank gewünscht hatte…

Diese Idee führte zu einer weiteren und diese dann zu einer dritten. Mit Begeisterung arbeitete ich danach jeden Tag bis tief in die Nacht, wachte trotzdem wieder früh auf und fing wieder an zu arbeiten, noch vor dem herrlichen Klosterfrühstück. Hier ein Eindruck von meinem Arbeitstisch und von den Dingen, die so langsam mein Zimmer füllten:

Gedanken zu Hause

Nur gut zwei Wochen nach meiner Abreise in Richtung Artist Residency im Kloster Dornach war ich wieder zuhause. Aber ich fühle mich seitdem verändert. Bereichert. Von den neuen Dingen, die ich im Außen erlebt hatte. Von den neuen künstlerischen Wegen, die beschritten habe, von den Ergebnissen, die ich sehen und anfassen kann. Aber auch von dem Prozess in meinem Inneren.

Und ich wünsche mir jetzt noch etwas: dass ich nicht wieder derartig stark an mir zweifle, wenn ich nicht weiterkomme mit meiner Kunst. Dass ich auch in solchen Momenten spüre, dass es irgendwann weiter geht. Ich fühle mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, die teilweise monatelange Blockaden haben. Das muss so furchtbar sein. Ich kann es jetzt ein wenig nachvollziehen, nachdem ich es für 2 1/2 Tag erlebt habe. Und ich weiß, dass niemand davor geschützt ist. Aber ich habe das Gefühl, dass ich mich besser kennengelernt habe und meiner Kreativität noch tiefer vertrauen kann. Dieses Vertrauen wird mich in der nächsten Flaute, die da kommen mag, stützen.

Danke, Kloster Dornach!